Artikel • 15.06.2021

22-Euro-Grenze für EU-Importe fällt

Einfuhrumsatzsteuerpflicht für alle Importsendungen aus Drittstaaten

Ab 1. Juli 2021 wird auch für EU-Importsendungen mit einem Warenwert von unter 22 Euro Einfuhrumsatzsteuer fällig. Der grenzüberschreitende Handel und vor allem der E-Commerce müssen ihre Zollprozesse neu ausrichten. Erschwerend kommt hinzu, dass die zollseitige IT-Anwendung nicht rechtzeitig fertig wird.

Wichtige Warenwertgrenzen für den E-Commerce

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Bis 30.06.2021

  • Bis 22 € Warenwert 
    Nur ICS-Anmeldung an die für EU-Importe aus dem Drittland vorgeschriebene IT-Plattform ICS (Import Control System)
  • Bis 150 Warenwert
    Zusätzlich einfuhrumsatzsteuerpflichtig
  • Ab 150 € Warenwert
    Zusätzlich zollpflichtig

Ab 01.07.2021

  • Bis 150 Warenwert
    ICS-Anmeldung, Zollanmeldung und einfuhrumsatzsteuerpflichtig
  • Ab 150 € Warenwert
    Zusätzlich zollpflichtig

Der administrative Aufwand für die Abwicklung von EU-Importsendungen mit einem Warenwert unter 22 Euro steigt. Der Stichtag ist der 1. Juli 2021. Von diesem Datum an werden diese Sendungen einfuhrumsatzsteuerpflichtig. Außerdem ist eine elektronische Zollanmeldung verpflichtend. Um zu verstehen, warum dies viel Arbeit bei allen Beteiligten nach sich zieht, hilft ein Blick auf die bisher geltenden Vorschriften. Bis zum 1. Juli 2021 ist die Einfuhr von Kleinsendungen mit einem Wert bis zu 22 Euro – wie sie insbesondere im E-Commerce-Geschäft vorkommen – frei. Höherwertige Sendungen ab 22 Euro sind bereits umsatzsteuerpflichtig, ab 150 Euro auch zollpflichtig.

Mit der Abschaffung der Einfuhrumsatzsteuerbefreiung verfolgt die EU-Kommission das Ziel, Falschdeklarationen einzudämmen und herrschende Wettbewerbsverzerrungen zwischen Lieferanten aus Drittländern und Wirtschaftsteilnehmern innerhalb des EU-Binnenmarkts auszugleichen. Denn letztere müssen schon heute für alle abgesetzten Waren, unabhängig von ihrem Wert, Umsatzsteuer abführen. Versandhändler aus Nicht-EU-Staaten hingegen sind bislang von dieser Pflicht befreit, wenn Sendungen unter der oben genannten Grenze bleiben.

Neue zollseitige Lösung für die Masse

Bei der Abbildung der Zoll- und Umsatzsteuerprozesse geht es um sehr große Mengen. Die deutsche Generalzolldirektion erwartet mehr als 100 Millionen Sendungen pro Jahr, für die zusätzliche Zollanmeldungen erforderlich sind. Würden diese alle über die herkömmliche Zollsoftware ATLAS abgewickelt, sei mit Überlastungen und IT-bedingten Abstürzen zu rechnen, warnt Silja Kuhr, Leiterin der AG E-Commerce der Generalzolldirektion (GDZ).

Um die großen Mengen an elektronischen Anmeldungen für Sendungen unterhalb der 22 Euro-Grenze zu ermöglichen, hat der Deutsche Zoll mit ATLAS-IMPOST eine neue Softwarelösung entwickelt. Deren Fertigstellung verzögere sich jedoch mindestens um ein halbes Jahr und werde frühestens im Januar 2022 fertig sein, bestätigt Kuhr. Bis dahin gelten in Absprache mit den Unternehmen bei größeren Sendungsvolumen Übergangslösungen. Zollanmeldungen werden zum Beispiel außerhalb der elektronischen Systeme mit einer täglich erstellten Sendungsliste übermittelt, die Grundlage für einen zusammengefassten Steuerbescheid sind. Die Oberregierungsrätin wirbt bei den Unternehmen dafür, diese Möglichkeit zu nutzen und direkt in Kontakt mit ihrer Behörde zu treten: „Viel werde jetzt vom Anmeldeverhalten der Wirtschaftsteilnehmer abhängen.“

Hintergrund

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Die neue Form einer elektronischen Zollanmeldung ist im europäischen Zollrecht in Art. 143a UZK-DA geregelt. Sie ist Teil des EU-Mehrwertsteuerpakets. Dort wurde als Alternative zur Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer durch die Zollverwaltung bei der Einfuhr das Verfahren des Import-One-Stop-Shop (IOSS) geschaffen und eine Sonderregelung der monatlichen Erklärung, das sogenannte „Special Arrangement" eingeführt. Einer der Vorreiter bei der Erhebung der Einfuhrumsatzsteuer für Kleinstsendungen ist Norwegen. Dort trat die Besteuerung ab der ersten Krone für ausländische Online-Shops und Online-Marktplätze bereits am 1. April 2020 in Kraft.

„Kleine“ Zollanmeldung mit reduziertem Datensatz

Umgangssprachlich spricht Kuhr von der „kleinen Zollanmeldung“, die nach Fertigstellung der Anwendung ATLAS-IMPOST elektronisch in dem System abgegeben werden muss. Sie enthält einen deutlich reduzierten Datensatz. Der wesentliche Unterschied gegenüber der Standardzollanmeldung ist, dass die Tarifierung der Waren mit nur sechs Stellen erforderlich ist.

Neben dem Zoll müssen auch die Versandhändler ihre Prozesse anpassen. Auf Seiten der Wirtschaftsbeteiligten sieht Simon Lembke, Leiter Speditions- und Zollanwendungen bei DAKOSY, eine der großen Herausforderungen darin, die für die elektronische Zollanmeldung relevanten Daten in einem standardisierten Format zu generieren. Aktuell seien diese strukturierten Datensätze vielfach nicht vorhanden. Insbesondere, wenn Dienstleister wie DHL, DPD oder Amazon Marketplace die Abwicklung für Dritthändler vornehmen, haben diese keinen direkten Einfluss auf die Datenquelle und müssen mit den zur Verfügung gestellten Informationen leben.

Sensibilisieren und Programmieren

„Die beste Lösung ist theoretisch, die Daten direkt an ihrem Entstehungsort richtig zu erfassen, statt sie hinterher zu korrigieren“, sagt Lembke. Dazu bedarf es viel Aufklärungsarbeit bei den Versendern und beteiligten Partnern. Diese müssen verinnerlichen, dass eine Sendung mit ungenügenden Angaben ihr Ziel in der EU künftig nicht mehr erreichen wird. Lembke empfiehlt, rechtzeitig im Vorfeld Standards zu setzen, wie eine Adresse künftig aussehen muss. Erleichterung könnten Erfassungsmasken bieten, in denen das korrekte Adressformat bereits vorgeblendet wird. „IT-seitig kann der Dienstleister unterstützen, indem er ergänzend beliebte oder häufige Fehlermuster erkennt und herausfiltert“, ergänzt Lembke. Beispielsweise könne eine Software bei der Postleitzahl prüfen, ob diese aus den geforderten fünf Ziffern bestehe und unerwünschte Ländercodes wie DE herauslöschen. Eins ist für Lembke sicher:

„Ohne die qualitativ hochwertige Aufbereitung der Daten wird es künftig nicht gehen. Denn manuelle Kontrollen auf Seiten des Dienstleisters sind allein aufgrund der abzufertigenden Mengen nicht möglich.“

 

Header-Foto-Rechte: Fraport AG

Überlastung und Lieferverzögerung

Nachgefragt bei Birgit Janik, Referentin Steuern, Finanzen & Controlling beim E-Commerce-Verband bevh

Birgit Janik, Referentin Steuern, Finanzen & Controlling beim E-Commerce-Verband bevh
Birgit Janik, Referentin Steuern, Finanzen & Controlling beim E-Commerce-Verband bevh
Foto: privat

Welche Mengen fallen Ihrer Schätzung nach bisher unter die 22-Euro-Wertgrenze und können aktuell mehrwertsteuerfrei nach Deutschland eingeführt werden?

Wir wissen, dass laut Schätzungen des Zolls, nach Abschaffung der 22 € Wertgrenze 100 Mio. zusätzliche Zollanmeldungen zu erwarten sind. Dabei sind die zusätzlichen durch den Brexit bedingten Zollanmeldungen, die 100 Prozent über den ursprünglichen Schätzungen liegen und das Zollsystem zusätzlich belasten, noch nicht eingerechnet.

Inwieweit erwarten Sie im Zuge der neuen Zollwertgrenzen zum 1. Juli 2021 Verzögerungen bei der Zollabfertigung?

Aufgrund technischer Friktionen in den Systemen ist mit großen Verzögerungen zu rechnen. Die Übergangslösung des Zolls bis zur Fertigstellung von ATLAS-IMPOST kann insbesondere bei großen Importvolumina zu Verzögerungen führen oder auch zur Umgehung von Deutschland als Einfuhrland. Außerdem kann die Überprüfung der Validität der IOSS-Nummer nicht automatisch vorgenommen werden.

Mit welchen Schwierigkeiten rechnen Sie?

Es könnte zu fehlerhaften Anmeldungen und dem Liegenbleiben von Sendungen kommen, weil sie nicht zugeordnet werden können sowie zur fehlerhaften Übertragung von Kundendaten und zu Lieferverzögerungen. Außerdem wird die Tatsache, dass die IT-Systeme nicht in allen EU-Mitgliedsstaaten rechtzeitig fertiggestellt werden, dazu führen, dass es zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen kommt und Sendungen gegebenenfalls über andere, kleinere EU-Länder umgeleitet werden, deren Systeme aber gar nicht auf die dann größer werdenden Sendungsmengen vorbereitet sind.

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